Sex and Crime

Die Krönung der Poppea in Wuppertal

von Johannes Vesper

Foto © Jens Grossmann

Sex and Crime

Die Krönung der Poppea in Wuppertal

Abschied vom Intendanten Berthold Schneider
 
Bei dieser Oper, voll von Intrigen, bringen Machtgier, Liebe und Leidenschaft
das Blut der Figuren auf der Bühne und des Publikums zum Kochen.
 
Vor Beginn aber kamen OB Schneidewind und Kulturdezernent Nocke auf die Bühne des Opernhauses und verabschiedeten den nach sieben Jahren scheidenden Intendanten Berthold Schneider, wiesen auf seine Verdienste hin, wie es ihm gelungen sei, die Oper Wuppertal nach den Wirren unter Toshiyuki Kamioka wieder nach vorne zu bringen, ein neues, exzellentes Solistenensemble aufzubauen, die Oper mit großen Projektchören und lebendigen Inszenierungen in die Stadt zu bringen. Unter seiner Leitung wurde trotz des katastrophalen Unwetters 2021 mit mehr als zwei Millionen Litern Wasser im Orchestergraben und in den Funktionsräumen des Opernhauses trotz knappsten Budgets weitergespielt. Für ihre künstlerische Qualität erhielten die Wuppertaler Bühnen während seiner Intendanz 2021 den Theaterpreis des Bundes zum 4. Mal. Das Publikum spendete dem Verabschiedeten herzlich und dankbar Beifall.
 
Anschließend dann drei Stunden Monteverdi. Die schöne wie intrigante Poppea will am Hof vom römischen Kaiser Nero (54-68 n.

Ralitsa Ralinova - Foto © Jens Grossmann
Chr.) Kaiserin werden, macht zu Beginn in schwarzer, eher biederer Unterwäsche mit ihm, dem Mezzosopran (bzw. ehemals Kastrat damals schon divers) auf dem Lotterbett herum, bis er verspricht, seine Frau Ottavia zu verstoßen. Die Konkurrenz der beiden Hofdamen artet in zeitweise in handgreiflichen Zickenkrieg aus, da keine auf Mann und Macht verzichten will. Die Souveränität, vor allem auch ihre stimmliche, mit der diese Poppea alle Männer verführt und täuscht (Ralitsa Ralinova) erstaunt und entzückt. Ottavia aber bringt endlich Ottone dazu, seine Poppea, die von ihm nichts mehr wissen will, zu ermorden. Der Mordplan wird in Sportdress im Fitnessstudio bei Stretching, beeindruckender Gymnastik und Aggressionsabbau vor dem Boxsack geschmiedet. Ottone tröstet sich inzwischen mit der attraktiven Reinigungskraft Drusilla, will in deren Kleidern sozusagen unerkannt die nur im Schlaf nicht intrigierende Poppea erschießen. Das Ganze aber fliegt auf, die beiden werden ebenso wie die Gattin Ottavia aus Rom verbannt. Das Luder Poppea wird Kaiserin und Nero befielt die Krönung vorzubereiten. Seneca, Lehrer Neros, Philosoph und Ethiker, kann alle diese ruchlosen Taten nicht verhindern. Ethik und Philosophie helfen den Menschen nicht weiter. Nero befiehlt Senecas Selbstmord, den er in der Badewanne mit viel Blut stoisch verübt. Schicksal, Tugend und Liebe kämpfen hier um die Ordnung von Welt und Gesellschaft, in der es aber vor allem um Skrupellosigkeit, Macht und Sex ging und geht, in dieser Inszenierung nicht um empfindsam liebende, emotional verletzliche Seelen. Die skandalöse Geschichte der Poppea findet ihre Fortsetzung u.a. natürlich beim Wagnerschem Inzest von Sieglinde und Siegmund, bei „Salome“ (Richard Strauß und endet erstmal bei „Proserpina“ (Wolfgang Rihm). Bei alledem sind Texte meist nur störend. Musik allein enthemmt, führt zu Dopaminausschüttung im Gehirn mit allen Folgen. Hier aber wird die Projektion des Texts oben auf das Bühnenportal als hilfreich und notwendig zum Verständnis empfunden. Die formelhafte Barockmusik des göttlichen „Claudio“ wirkt heutzutage trotz der abwechslungsreichen Bearbeitung und modernen Instrumentierung von Philippe Boesmanns (1936-2022), der sie 2006 u.a. mit Marimbaphon, Vibraphon, Synthesizer, ohne Gambe oder Theorbe ins Diesseits befördert hatte, nicht unmittelbar emotional aufregend. Da konnte auch die drängende und lebendige Interpretation von Matthew Toogood nicht helfen. Eher kammermusikalisch dünn drangen orchestrale Oberstimme und Generalbass aus dem Orchestergraben. Anrührend wie Nutrice (Banu Schult) schon im 16. Jahrhundert bedauert, wie früh die Frauen altern. Musikalischer Höhepunkt waren die beiden Liebesduette von Poppea und Nerone (Catriona Morison) zum Ende hin und der Schlußgesang von Ottavia. Nach so viel Intrigen, Machthunger und reinem Sex schien dieser doch emotionalere Schluß zuletzt irgendwie nicht ganz stimmig. Spielerisch wie stimmlich zeigte das gesamte Solistenensemble jedenfalls höchste Klasse.
 
Für die Inszenierung dieses theatralischen Opernkrimis kehren Immo Karaman (Regie und Bühne) und Fabian Posca (Kostüme und Choreografie) an das Barmer Opernhaus zurück. Ausschnitte im schwarzen Bühnenvorhang boten verschiedene Orte des Dramas, die durch Herablassen von Wänden schnell gewechselt werden konnten. Geschlitzte, gelegentlich funkelnde Kostüme meist schwarz, gelegentlich rot für Poppea, zeigten viel Bein. Zuletzt zeigte nach der Auslotung der Tiefen wie Untiefen der menschlichen Psyche ein riesiges Loch in der Hinterwand der grauen Mauern die Instabilität der menschlichen Existenz.
 
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, daß vom 07.-25. April 1962 im Barmer Opernhaus mit der zyklischen Aufführung aller musikdramatischen Werke des göttlichen Claudio erstmalig in der Theater- und Musikgeschichte das frühe Genie der abendländischen Operngeschichte geehrt worden ist. Unter Intendant Grischa Barfuß hatten die Dirigenten Hans Drewanz und Hans-Georg Ratjen die damals weithin beachtete (FAZ, Zeit u.a. berichteten) Wiederentdeckung und Renaissance Monteverdis drei Jahre lang vorbereitet. Auch die Schüler des Gymnasiums Sedanstraße waren von den Dramen schwer begeistert (Schulzeitung vom Juli 1962). Immerhin wurden damals rund 25.000 Schülerkarten pro Jahr für die Wuppertaler Bühnen verkauft. Die „Krönung der Poppea“ ist das letzte Werk von Claudio Monteverdi (1567-1643), dem frühen Großdramatiker, dem „Shakespeare der Musik“. Er war zunächst Kapellmeister beim Herzog von Mantua, von dem er 1612 unerwartet und plötzlich in die Arbeitslosigkeit entlassen wurde. Daraufhin wurde er Chef der Kapelle des Markusdoms in Venedig. Dort verdiente er gut, konnte freiberuflich nebenberuflich gutes Geld verdienen, hatte eine Lebensstellung, jede Macht über den Musikbetrieb (Chor und Orchester), wovon heutige Intendanten träumen, und Erfolge: „Wenn ich auftrete, läuft die ganze Stadt herbei um zu lauschen“. Das tat auch Wuppertal, kam am 25.06.2023 in Scharen zur letzten Aufführung der „Poppea“. Das Barmer Opernhaus war bis auf den letzten Platz gefüllt.
 

Ralina Ratsinova, Catriona Morrison, Sebastian Campione - Foto © Johannes Vesper



Berthold Schneider, Simon Stricker (Mitte) - Foto © Johannes Vesper

Am Ende verabschiedete Berthold Schneider auf der Bühne die sieben Mitglieder des Ensembles, die in der neuen Spielzeit ihre Karriere anderswo fortsetzen, darunter die herrliche Sopranistin Ralitsa Ralinova, die sie sich mit zahlreichen Aufführungen in die die Herzen und Ohren ihres Wuppertaler Publikums gesungen hat, die bedeutende Catriona Morison, die nach dem Gewinn des BBC-Cardiff-Singer-of-the-World-Preises ihre internationale Karriere weiter verfolgen wird, Sebastian Campione und Simon Stricker. Für jeden gab es persönliche zu Herzen gehende Worte und Blumen. Das Publikum bedachte seine Lieblinge ein letztes Mal mit starkem Applaus und hofft, daß es unter der neuen Intendantin gelingt, diese Lücken zu füllen.
 
Die Krönung der Poppea von Claudio Monteverdi. Abschiedsveranstaltung des Opernintendanten Berthold Schneider. Sonntag, den 25.Juni 2023 19:30 Uhr Opernhaus

Matthew Toogood, Musikalische Leitung; Immo Karaman, Inszenierung und Bühne; Fabian Posca, Kostüme und Choreografie ; Marie-Philine Pippert, Dramaturgie;
Ralitsa Ralinova, Poppea; Catriona Morison, Nerone; Anna Alàs i Jové Ottavia; Franko Klisovic, Ottone; Johanna Rosa Falkinger, Drusilla / Virtù, Sebastian Campione, Seneca; Hyejun Kwon
Fortuna / Valletto / 1. Famigliare; Theodore Browne,Amore / Liberto / Lucano / 1. Soldato;
Pallade / Damigella;
John Heuzenroeder, Arnalta; Banu Schult, Nutrice; Simon Stricker
Mercurio;
Yisae Choi; Littore / 3. Famigliare; Marco Agostini,2. Soldato / 2. Famigliare, Bettina Fritsche, Il Tempo (Die Zeit); Statisterie der Wuppertaler Bühnen, Sinfonieorchester Wuppertal